Mittwoch, 24. Oktober 2012

Der Ast, auf dem wir sitzen...

Seit vielen Jahren ist in der evangelikalen Christenheit ein Trend am wachsen. Es gibt eine zunehmende Abneigung gegenüber dem Studium und der Verinnerlichung biblischer Lehre zugunsten von einem vermeintlich mehr praktischen Christenleben.
Immer wieder höre ich Christen, sogar Pastoren, sagen: "Was wir brauchen ist nicht so viel Lehre, sondern mehr praktisch gelebtes Christsein."

Die Haltung kommt zum Beispiel zum Ausdruck, wo Predigten verlangt oder gehalten werden, die weniger Erklärung des Biblischen Textes, seiner Bedeutung und seines Zusammenhangs enthalten und stattdessen eine Aneinanderreihung von Erlebnissen und Geschichten sind.
Hausbibelkreise sind ebenfalls meist nur Austauschrunden, in denen man seine persönlichen Erfahrungen zum Besten gibt.
Wir finden denselben Trend auch, wenn wir in Christliche Buchkataloge oder Buchhandlungen schauen: es gibt da kaum mehr Bücher über Themen wie z.B. Rechtfertigung, Heilssicherheit, Dreieinigkeit, Sünde, usw. oder Auslegungen biblischer Bücher. Stattdessen wimmelt es von Ratgebern für alle möglichen Bereiche des alltäglichen Lebens wie z.B. Umgang mit Geld, Eltern mit schwierigen Kindern, Management, Gesprächsführung, Mitarbeiterführung, usw. all dies mit dem Anspruch, aus Christlicher Perspektive zu sein.

Das Stichwort ist  "praxisorientiert". Lehre wird als anstrengend und für das tägliche Leben als Christ irrelevant angesehen, praktische Ratgeber dagegen als lebensnah und hilfreich.

Wenn wir diesen Trend kritisieren, darf es natürlich nicht darum gehen, gegen ein gut und richtig praktiziertes Christenleben zu reden.
Wir könnten genauso gut den Fehler machen, dass wir zu verstehen geben, man müsste nur die richtige Lehre im Kopf haben, es sei dabei egal, wie man praktisch lebt.
Die Bibel gibt uns klar zu verstehen, dass ohne Heiligung niemand den Herrn sehen wird. Das Streben nach einem guten, vom Heiligen Geist geprägten und geführten Christenleben ist unverzichtbar.

Worum es mir geht, ist zu zeigen, dass wir das eine nicht ohne das andere haben können.
Mit anderen Worten: es gibt kein praktisches (gutes, richtiges) Christenleben ohne eine gründliche Lehrgrundlage.
Wer sogenannt "praktisches Christsein" gegen eine Betonung und Pflege der Lehre ausspielt, sägt an dem Ast, auf dem er sitzt. Und er ist etwas kurzsichtig in seinen Aussagen, er widerspricht seiner eigenen Lebenshaltung.

Niemand, der einen Arzt aufsucht, möchte, dass der Arzt in der Weise praxisorientiert ist, dass er nicht viel von der Lehre der Medizin hält. Im Gegenteil, je besser dieser sein Fach studiert hat, desto besser kann er helfen. Ich bin froh, wenn ich mit Schmerzen in der Nierengegend zum Arzt gehe, wenn dieser nicht einfach mal ein Skalpell nimmt, mich aufschneidet und nachsieht, was er da finden kann. Ich wäre froh, wenn er ein möglichst breites Wissen über die Funktionen und Krankheiten des menschlichen Körpers hat, das er ständig erweitert, indem er sich in seinem Fach weiterbildet – also seiner praktischen Arbeit viel Lehre zugrunde legt.
Niemand, der Auto zum Mechaniker bringt, will, dass dieser einfach daran rumschraubt, ohne ein gutes Fachwissen zu haben, das er ebenfalls ständig pflegt. Ich wähle mit Vorzug einen Mechaniker, der so gut gelehrt ist, dass er mir auch noch erklären kann, wie gewisse Teile meines Autos funktionieren und wie ich damit fahren kann, dass mein Auto optimal läuft und lange hält.

Jeder Beruf und jeder Lebensbereich 'funktioniert' nach bestimmten Gesetzen oder theoretischen Grundlagen. Man kann überhaupt nur gut sein im Leben oder im Beruf, wenn man diese Grundlagen, bzw. Gesetze, gut kennt und sie in der Praxis berücksichtigt.

Das ist im Christenleben besonders wichtig. Wo es beim Auto nur um materielle Teile geht, die kaputt gehen können, und wo es in der Medizin 'nur' um den Körper geht, der Schaden nehmen kann, geht es in der Theologie, in der Christlichen Lehre, um das ewige Leben.
Wenn sich hier Fehler einschleichen, hat das ewige Konsequenzen.
Deshalb sind der Herr Jesus und die Apostel so bemüht, uns die richtige Lehre zu bringen, sie von der falschen zu unterscheiden.

Jesus selbst hat sehr viel gelehrt. Er hatte nicht nur mit den Schriftgelehrten lange Diskurse, sondern hat auch seine Jünger darin geschult, ihre Bibel zu verstehen, sie richtig auszulegen und falsche Lehre zu verurteilen.
Die Apostel haben dieses Beispiel übernommen. Ihre Briefe bestehen zum grössten Teil aus Lehrgrundlagen. Sicher, sie enthalten viele praktische Anweisungen. Aber die meisten ihrer Briefe beginnen mit grundsätzlichen Belehrungen über Gott, den Menschen, die Sünde, Christus, und erst dann kommen die daraus folgenden Anleitungen zur Umsetzung des Gelernten.

In der gleichen Weise muss unser Christenleben gelebt werden.
Wir werden Christen, indem wir gelehrt werden: Wer Gott ist, wer wir als Mensch sind, warum wir Christus nötig haben, was er für und getan hat und tut, wie wir in seine Gemeinschaft kommen und darin bleiben können, usw. dann versuchen wir, als Christen Gottes Willen gemäss zu leben. Wir machen Fehler, verstehen Dinge falsch, fallen in Sünde oder verzweifeln an unseren Unzulänglichkeiten. Was tun wir dann?
Wir gehen zurück zur Lehre und versuchen, sie noch besser zu verstehen. Nur das wird uns schliesslich helfen, besser praktisch zu leben.

Lehre ist nicht nur die Theorie über christliche Dinge im Kopf, sondern sie ist auch Nahrung für den Geist. Sie stärkt uns und macht uns fit für das Leben.
Die gute Lehre ist der Nährboden, aus dem unser geistliches Leben genährt wird. Falsche Lehre ist wie Gift, das dem Leben schadet.
Ein guter Baum bringt gute Frucht. Aber ein guter Baum, der in einem schlechten oder verseuchten Boden steht, wird nicht nur keine gute Frucht bringen (sprich gutes, praktisches Christenleben), sondern wird eingehen und sterben.

Wenn wir diese Dinge bedenken, müssen wir da nicht einsehen, dass wir uns eigentlich gar nicht zu viel mit der Lehre beschäftigen können?
Schliesslich müssten die Leute, die "praktisches Christenleben" gegen fleissiges Studium der Lehre biblischer Themen ausspielen wollen, zugeben, dass sie damit auch etwas lehren.
Sie lehren falsch. Sie behaupten eigentlich, man müsse nicht den ganzen Ratschluss Gottes kennen, um nach Gottes Willen zu leben.
Damit bereiten sie den Boden für Lehren von Menschen, die nicht Christus entsprechen. Sprich: Irrlehre.
Wenn uns das bewusst wird, dann werden wir erkennen, dass kein Weg daran vorbei führt, dass wir uns als (normale) Christen fleissig und regelmässig mit Lehre beschäftigen müssen. Wir werden dann immer mehr erkennen und wissen, was wir glauben und warum wir es glauben. Das wird zu einem guten und richtigen praktischen Christenleben führen.


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